“ (…) Seit Jahren forschte ich bereits zu den Partisanen am Col de Joux, zu jener Widerstandsgeschichte und zur Rolle Primo Levis in der Resistenza. Aber Ortsbegehungen hatte ich noch gar keine gemacht, ich hatte den Hauptschauplatz dieser verflochtenen Geschichten nicht erkundet. Über Jahre hatte ich beim Vorbeifahren, auf dem Weg von Saint-Vincent nach Turin oder Genua, aus dem Auto auf die „Hügel“ hochgeschaut. Ich wusste, dass sich Amay dort befand. Über Jahre erkannte ich von der Straße im Tal aus die Profile der verstreut zwischen der grünen Vegetation liegenden Häuser, welche sich im Winter vom Weiß des Schnees abhoben. Kein einziges Mal war ich jedoch von der Autobahn abgefahren, um über sich windende Straße eine halbe Stunde die Hügel hinaufzufahren, das Auto an einer der Ausbuchtungen entlang der Provinzstraße zu parken und in die Gässchen der nahezu unbewohnten Siedlung hinabzusteigen.
Nie hatte ich mich entschließen können, auf meinen Beinen hinzugehen, mit meinen Augen zu sehen. Ich hatte Richard Cobbs Lehre vergessen, der als Brite die französische Revolution studiert hatte und nach dessen Überzeugung die Geschichte zu Fuß erlebt werden muss. Sie muss auch gelesen werden, aber nach den Buchseiten oder den Archivordnern muss die Geschichte vor Ort gesucht werden. (…)”

Übersetzung aus: Sergio Luzzatto, “Partigia”, Mondadori, Mailand 2013, Seite 27 27

Blick in die Lunigiana vom Monte La Nuda, 2017

Anlässlich des 25. April 2020, dem 75. Jahrestag der Befreiung, hat Istoreco eine neue Ausgabe der „Sentieri Partigiani“ herausgegeben. Sie enthält Aktualisierungen und einen neuen Weg, den sechzehnten: den Weg der Befreiung. Zu dem nur in italienischer Sprache erhältlichen Buch gesellt sich nun die zweisprachige Website sentieripartigiani.it, die wie ihr papierener „Kollege“ dazu einladen will, auf diesen Wegen zu wandeln, das gewohnte Leben hinter sich zu lassen und sich auf eine Reise zu begeben, denn Geschichte muss erlaufen werden, sie muss dort gesucht werden, wo sie stattgefunden hat. Schritt für Schritt kann so die herrliche Landschaft des Apennins von Reggio Emilia und ein Schatz der antifaschistischen Geschichte entdeckt werden. Nur wenn wir an die Orte dieser Ereignisse zurückkehren, können wir den Wunsch nach Gerechtigkeit verstehen, der die Partisan:innen zum Kampf bewegt hat. Wir können den Orten zuhören, um besser die Entscheidung nachzuvollziehen, Partisan oder Partisanin zu werden, das damit verbundene Leid, die Angst vor dem Tod, die Hoffnung auf eine andere, gleichberechtigte Zukunft. Ein Traum, der mit der Kraft der Vernunft und Solidarität aufzubauen war und der aus einer Gruppe freier Männer und Frauen hervorgegangen ist. Im Jahr 1993 fand zum ersten Mal statt, was später zu einer regelmäßigen Begegnung in unseren Bergen werden sollte: die Sentieri Partigiani – Wandern auf Partisanenwegen. Seitdem organisiert Istoreco jedes Jahr Veranstaltungen zu diesem Thema: um gemeinsam zu wandern, die Geschichten der Partisan:innen zu hören, die diese Wege gewählt haben, um über gestern und heute zu diskutieren und um die Natur zu genießen, die diese jungen Leute damals willkommen hieß und heute den Hintergrund für unsere Rückkehr bildet. Die Orte, die von den hier vorgeschlagenen Routen angesteuert werden, werden die Zeitzeugen der Zukunft sein, Zeugen, die bleiben. Doch wir müssen lernen, ihnen zuzuhören. Nach dem 8. September 1943 stiegen die ersten Partisan:innen in die Berge, um den bewaffneten Widerstand gegen die deutsche Nazi-Besatzung und die italienischen Faschisten zu organisieren. Bis zur Befreiung, bis zum 25. April 1945, 20 harte Monate lang.
Sie gingen auf Wegen, die wir „Partisanenwege“ nennen und die heute von diesen Schritten, Kämpfen und Träumen erzählen. Diese Wege gibt es noch immer und sie warten darauf, begangen zu werden.

Gruppe von Partisan:innen im Gebirge
Marschierende Partisanengruppe